Mitten in der Sommerhitze … da steigen schon mal Schweißperlen hoch, wie manchmal auch hitzige Gespräche.

Gestern Abend radelte ich an einem Pärchen vorbei. Genau auf meiner Höhe schreit sie ihren Partner an – ich nehme nur diesen Augen- und Gesichtsblick wahr, dann verschwinden sie wieder hinter parkenden Autos. Mein erster Gedanke: Oje, die Armen – scheinbar anstrengende Zeit.
Dann taucht eine Arroganz auf: „Kriegen die das nicht gebacken dass sie auf der Straße streiten müssen?“ Darauf folgt ein Schmunzeln: „Eigentlich stark, das direkte Zeigen von Emotionen, wie in den Südländern.“

„Wenn ich mich hintergangen fühle, dann ist das für mich auch wirklich so.“

Was zwar im Sinne der gewaltfreien Kommunikation nicht „gewaltfrei“ wäre (siehe Übung), nämlich meine Gefühlslage mit DEINEM Verhalten zu koppeln, ist aber oft genau das, wie’s uns jetzt gerade erscheint. Warum also anders formulieren, filtern, manipulieren? Verlieren wir dadurch nicht Kraft und Authentizität? Wenn es dogmatisch „so und so gehört“, dann schränken wir unsere Menschlichkeit auf jeden Fall ein. Auch Wut und Ärger haben eine Kraft, die, wenn wir sie „kultivieren“, auch Verstrickungen trennen und Klarheit schaffen kann, was wen betrifft.

Dabei ist die Kultur authentischen Ausdrucks eine bewegliche, keine starre:

Ich-Botschaften zu formulieren und Gefühle mit meiner eigenen Befindlichkeit statt einer Verhaltensanalyse anderer auszudrücken ist ein wichtiges Prinzip (aber keine starre „Regel“)

Die dazugehörige Haltung ist nämlich das Prinzip, dass alles, was sich durch einen Menschen zeigen will (und wenns unangenehme Vorwürfe sind), erstmals da sein kann. Es hat ja einen Grund, warum der Mensch es genau so formuliert, wie er es tut. Und erst wenn es da sein kann, kann sich’s vielleicht auch wieder weiter verändern.

Frei nach dem Motto:
Alles was ist, darf sein.
Alles was sein darf, kann sich verwandeln.

Natürlich klingt das auch hochgradig heiltherapeutisch – was durch Präsenz und Empathie zwischen Menschen ja ganz natürlich stattfinden kann.

Was aber in der Arbeit? Da ist es oft nicht stimmig die persönliche Geschichte jedes einzelnen zu ergründen und begleiten. Oder wenns in hitzigen Situationen vor allem darum geht sachliche Entscheidungen zu treffen. Oder ich gerade einfach nur meine E-Mails lesen und Leichtigkeit haben will, muss das „immer“ so kompliziert sein?

Eine Kultur authentischen Ausdrucks hat noch weitere Elemente:

Grenzen setzen ist wichtig, nicht nur für mich, sondern auch für andere. Dadurch muss ich zwar auch meine Beschränkung zugeben, nämlich nicht „immer“ für andere da sein zu können oder an manchen Hintergründen und Erzählungen nicht interessiert zu sein. Das klingt manchmal hart, ist auch nicht nett, aber zutiefst menschlich.

Mit Grenzen setzen verbunden ist die Betonung des Motivs für meine Aussagen und Handlungen: Nicht weil ich dich bestrafen, sondern weil ich für mich sorgen will.
Nicht weil ich nicht an dir interessiert bin, sondern weil ich jetzt Fokus auf die Arbeit oder Inspirationszeit für mich brauche.

Wenn ich es schaffe beim Aussprechen meiner Anliegen wach zu sein und einmal durchzuatmen schaffe ich Raum. Den konditionierten Impuls davon zu laufen oder in den Gefühlskeller abzusteigen einfach wahrnehme, ohne als einzige Wahrheit nachzugehen. Vielleicht entsteht dann etwas Entscheidendes: das ich in meiner guten Intention gesehen werde (mir selbst auch nochmal verdeutliche „warum eigentlich“), und dadurch Vertrauen entsteht, dass wir uns grundsätzlich unterstützen wollen – und den stimmigen Rahmen dafür erarbeiten.

Ein Grund warum ich manchmal „laut“ werde, …

… ist, weil ich genau in dieser positiven Absicht, meinem Beitragen, gesehen werden will. Wenn ich mir wiederum vergegenwärte, dass hinter scheinbare „unpassenden Aussagen“ sich eigentlich ein Anliegen versteckt, dass ich erst entdecken muss um zu verstehen, was die andere Person eigentlich „von mir will“ – dann kann ich mich darauf konzentrieren, und es weniger auf mich beziehen, persönlich nehmen. Ein Nachfragen von „Und willst du da in deinem Bemühen gesehen werden?“ oder ein offenes Fragen von „Was brauchst du da?“ eröffnet oft einen Raum, wo wir einander begegnen können, und manche hitzigen Wellen wie mit einem Sprung ins Wasser abkühlen können. Nicht weil die Gefühle unterdrückt worden sind, sondern weil wir gehört werden, und somit nicht mehr so „laut“ sein müssen (was ja ein uralter Weg ist sich Gehör zu verschaffen). Und manchmal taucht durch dieses Raum geben weitere Hitze auf, und wir müssen es durchsitzen, schwitzen… in Schweißperlen und Hingabe baden.

Und uns immer wieder Erfrischung holen, wie durch ein wechselndes Anwenden von Prinzipien, die wir entdeckt haben, um uns authentisch zu leben. Und weiter entdecken werden…