von Christian Lechner

Bei unserer gestrigen Vorbereitung zum Naturseminar (am Wahlsonntag) musste ich schmunzeln: Natürlich kann uns nicht nur die Natur ein Spiegel sein, also dass meine Naturbegegnungen auch mit meiner eigenen Frage und Entwicklung in Verbindung und Wechselwirkung stehen. Auch die Parteienpolitik dient als individueller und kollektiver Spiegel!

Muss das sein?

Da murrt und stöhnt es gleich in mir, dieses Kasperltheater soll mit mir zu tun haben? Diese Strache-Zuhörer, die mit ausgestreckter rechter Hand etwas zur Schau stellen, wo ich wütend und schockiert zugleich werde. Hmpf! Ich geb‘ mir einen Ruck mit der 5% Regel, bei der ich egal wie absurd die Aussage zu sein scheint, 5% darin als wesentlich zu erkennen versuche. Das macht bei repräsentativen Spitzenpolitiker_innen umso mehr Sinn, da deren Aussagen ja durch Meinungsforschungsinstitute gezielt eine größere Bevölkerungsschicht anspricht und damit widerspiegelt – wahrscheinlich deutlich mehr als 5%.

Wahlslogans als zugespitzte kollektive Spiegel

Kollektiv zeigt es sich ja deutlich durch Meinungsumfragen – und individuell? Da gehe ich der Fährte nach, welcher der Themen mich besonders bewegen – positiv wie negativ. Besonders emotional erlebe ich die Integrations- und Asylrecht Diskussionen. Hier geht es für mich um Menschenleben an sich, nicht ob ich jetzt weniger oder mehr Steuern zahlen muss. Der tiefe Wunsch nach Gleichwürdigkeit aller Menschen lässt mich erschaudern, wenn ich Aussagen höre, bei der ganz klare Trennlinien gezogen werden zwischen WIR und DIE (Ausländer, Sozialschmarotzer, …). Ja, und die 5% Regel, als Transformation von Feindbildern in der Gewaltfreien Kommunikation bekannt, lässt mich ahnen, dass hinter diesen Aussagen ebenfalls Menschen mit wichtigen Anliegen stehen: nach Sicherheit, Zugehörigkeit, „sich zuhause fühlen“ aber auch die nach Einfachheit (schnellen Lösungen), Klarheit, Wirksamkeit (Abschiebung ist effizienter als Integrationsarbeit, aber sicher nicht effektiver).

Das Fremde in mir

Ja, und dann sitze ich da, bin teilweise überflutet, teilweise ohnmächtig, teilweise klopf ich mir geduldig auf die Schulter und sage: Ja, Integrationsarbeit geht alle etwas an. Also auch mich, wenn ich Ausländerfeinde abwerte. Mache ich dann nicht das selbe wie DIE? Außerdem gibt es auch in mir zumindest 5%, die sich unwohl fühlen, wenn ich mich mit meinem Gegenüber nicht auf meine gewohnte Sprache verständigen kann. Das Fremde ruft nun mal (auch) Unbehagen hervor, und es bringt auch nichts diesen Anteil zu verharmlosen. Das haben wir ja auch kollektiv immer wieder erfahren, dass in jedem Menschen etwas schlummert, dass in Extremsituationen aktiviert werden kann.

Die leichte und die schwere Politik

Manchmal, wenn ich die Nachrichten im Radio aufdrehe, höre ich nicht nur auf intellektueller, sondern auch auf emotionaler Ebene zu, was die Korruptions- und Krisenfälle mit mir machen. Ich spüre eine abstruse Mischung aus Schwere und Leichtigkeit: Schwer, weil so viele Fragestellungen ungelöst bleiben und Ziele nicht befriedigend erreicht werden, sondern im Gegenteil oft torpediert werden oder stecken bleiben. Und dann hat es eine Leichtigkeit, weil die Medien mir Namen nennen, wer dafür verantwortlich ist. Das ist eine Ebene von Politik. In meinem Verständnis von tiefgehender Politik habe ich selbst aber jeden Tag die Wahl, nicht nur diesen Sonntag, was ich befürworte, was nicht. Und wie ich mit Ansichten umgehe, die mir scheinbar völlig fremd sind…